Essay
Von Margarete Seidenspinner
Die Sammelbezeichnung “südafrikanische Literatur”, die bis zur Unabhängigkeit Simbabwes (1980) geographisch die Literaturen der Südafrikanischen Republik, Namibias, Botswanas, der Königreiche Lesotho und Swasiland sowie Rhodesiens umfaßte und die linguistisch sowohl die englischen und afrikaansen als auch die stammessprachlichen Werke einem Begriff unterordnete, ist gegenwärtig wegen ihres Mangels an einheitlichen und konsistenten Beurteilungskriterien in der Literaturkritik des Commonwealth Gegenstand einer Kontroverse. Als historisch definierte Bezeichnung bezieht sie sich ferner auf die schriftlich und mündlich überlieferten literarischen Zeugnisse
aus der Zeit vor und nach der Kolonialisierung der Kapregion (1652–1834),
der Eroberung und Missionierung des Hinterlandes (1834–1900),
des Ersten (1880–1882) und des Zweiten Burenkrieges (1899–1902),
der Südafrikanischen Union und der Commonwealth-Periode (die nominell zwar bis 1961 bestand, aber die de facto bereits 1931 mit dem Statut von Westminster, das der Union vollkommene politische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit garantierte, beendet wurde),
des Zweiten Weltkrieges,
der Apartheid-Ära (seit 1948), die eine Unzahl von Oppositionellen, Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern ins Exil trieb, der sogenannten “verlorenen Dekade” mit ihrer teilweise noch heute im Lande verbotenen Exilliteratur der sechziger Jahre.
Es ist deshalb notwendig, den globalen Arbeitsbegriff “südafrikanische Literatur” aufzufächern.
Die Besetzung des Landes durch mehrere miteinander im Wettstreit liegende Kolonialmächte führte zu ...